„Vorarlberg kein Wolfsland“

Der Wolf steht wieder mal im Fokus einer öffentlichen Diskussion.
Schon in Märchen und Legenden ist er der Inbegriff des Bösen: der Wolf, das größte Raubtier aus der Familie der Hunde, das in Mitteleuropa nahezu ausgerottet war. In Vorarlberg ist er seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben. Vor einigen Jahren sind die Tiere aber wieder aus dem Süden, wo sie überlebten, zurückgekehrt und haben sich auch in anderen Ländern angesiedelt. Eine Rückeroberung des Raums, die nicht spannungsfrei über die Bühne geht: Vor allem mit der Landwirtschaft kommt es dabei immer wieder zu Konflikten. Über 17.000 Wölfe leben derzeit laut der Natur- und Umweltschutzorganisation WWF in Europa – ohne Russland.
Die „drei S“
Die grausamen Bilder von gerissenen Schafen, die seit einigen Jahren auch in Vorarlberg kursieren, emotionalisieren. Tierschützer und Wolfsgegner scheinen sich in diesem Konflikt oft unversöhnlich gegenüberzustehen. Während für die einen nur die „drei S – Schießen, Schaufeln, Schweigen“ – eine Lösung darstellen, darf es laut anderen keine Einschränkungen für das Raubtier geben. Platz für Differenzierungen und sachliche Diskussion bleibt in vielen Fällen kaum.

Wölfe sind hierzulande auch EU-rechtlich streng geschützt. Ein Schutz, dessen Aufweichung zuletzt die Regierungschefs der Arge Alp, zu der auch Vorarlberg gehört, bei ihrer Konferenz Ende September in einer Resolution forderten. Die Schweizer Kantone haben sich allerdings enthalten. Dort hatten sich die Bürger am 27. September bei einer Volksabstimmung gegen eine Lockerung des Wolfsschutzes ausgesprochen.
„Wir müssen endlich massiv in den Herdenschutz einsteigen.“
Daniel Zadra,
Grünen-Klubobmann
Gleich nach Bekanntwerden der Resolution zeigte sich der Grünen-Klubobmann Daniel Zadra „irritiert“ über die Aussagen von Landeshauptmann Markus Wallner. Dieser hatte eine Lockerung des Schutzstatus in Aussicht gestellt und gemeint, dass in besonderen Situationen einer Bedrohung ein Abschuss möglich sein sollte. Laut Zadra gebe es für Letzteres jetzt schon Möglichkeiten im Vorarlberger Jagd- und Naturschutzrecht. Aber: „Wir müssen endlich massiv in den Herdenschutz einsteigen. Einseitig den Abschuss aller Wölfe zu fordern, löst kein Problem“, so Zadras Position.

Auf die Frage, ob es eine Aufweichung des Schutzstatus des Wolfes brauche, muss Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger nicht lange überlegen. Ein klares und knappes „Ja“ ist die Antwort. Die gleiche Antwort gibt es auf die Frage, ob der Wolf ein Problem für Vorarlberg sei, allerdings mit dem Zusatz: „Jedenfalls wenn er da ist.“ Moosbrugger befürchtet, dass es auch hierzulande zu Rudelbildungen und damit zur Sesshaftigkeit des Raubtiers kommen könnte, zumal die Anzahl der Wölfe in Europa am Steigen sei.
„Herdenschutz funktioniert nicht“
Der von der Gegenseite ins Treffen geführte Herdenschutz funktioniere nicht, ist der Landwirtschaftskammerpräsident überzeugt. Das habe ein Wolfsriss in Egg-Großdorf gezeigt, wo es einen entsprechenden Sicherheitszaun gegeben hätte: „Wenn der Wolf nach Beute jagt, überspringt oder untergräbt er den Zaun.“ Wenn der Wolf nur durchziehe und die Nutztiere in Ruhe lasse, soll es ihn geben, sagt Moosbrugger, „aber das ist Illusion“. Nicht umsonst habe man Wölfe jahrhundertelang bekämpft.
Zäune seien zudem auch im felsigen Gelände, in dem hierzulande manchmal Schafe gehalten werden, nicht möglich, so der Landwirtschaftskammerpräsident, und auch die Herdenschutzhunde seien für Vorarlberg keine brauchbare Alternative. Dafür seien die Strukturen zu kleinräumig. In Vorarlberg würden rund 10.000 Schafe in mittleren Lagen in der Nähe von besiedeltem Gebiet zumeist in Kleingruppen von 25 bis 30 Stück gehalten. Hunde würden zudem nur dort funktionieren, wo sie neun Monate und mehr mit den Schafen zusammen sind, sagt Moosbrugger. Das hätten Erfahrungen aus anderen Ländern gezeigt. Hierzulande betrage die Weidezeit aber um einiges weniger.
„Es wird kein Nebeneinander geben“
Josef Moosbrugger,
Landwirtschaftskammerpräsident
Auf Schafweiden mit Hunden dürfte sich zudem auch kein Tourist sehen lassen, weil die Schutzhunde jeden Eindringling als Feind sehen würden. „Man vermischt hier Dinge“, kritisiert der Landwirtschaftskammerpräsident, der unmissverständlich feststellt: „Es wird kein Nebeneinander geben.“ Für ihn stellt sich daher die Frage, ob Vorarlberg weiterhin ein touristisch attraktives Land bleiben wolle – wenn ja, „müssen zumindest Problemwölfe entnommen werden können“.

Ein Überdenken des Schutzstatus hält auch der Wildökologe des Landes Hubert Schatz für richtig – zumal die Anzahl der Tiere steige und das Gesetz schon einige Jahre auf dem Buckel habe. In Vorarlberg gebe es durchschnittlich einige wenige bekannte Wolfsrisse pro Jahr, erzählt er. Allerdings hätten die letzten Populationsnachweise gezeigt, dass die Tiere mittlerweile aus allen Richtungen – Deutschland, Schweiz, Italien – kommen würden: „Da ist einiges in Bewegung.“
Auf Schutzmaßnahmen werde man auch hierzulande nicht verzichten können, glaubt er. Allerdings gebe es Gegenden, wo das nicht möglich sei. „Ein richtiges Wolfsland wird Vorarlberg nicht werden“, ist Schatz überzeugt, dafür fehle der Platz. Die Ansiedelung einer fixen Population würde zu großes Konfliktpotenzial mit der Nutztierhaltung und dem Tourismus beinhalten. Mehr als ein Durchzug der Tiere sei wohl nicht möglich.

Anders sieht das Christian Pichler, Wolfsexperte beim WWF Österreich. Die Resolution der Arge Alp hält er für einen von vielen diesbezüglichen unnötigen Vorstößen. Die Richtlinien seien von der Europäischen Kommission vor vier Jahren für gut befunden worden, es mangle aber an der Umsetzung, sprich Herdenschutz, Information, aber auch ein wissenschaftliches Monitoring, sagt er.
Zudem würden andere Länder einen erheblichen Aufwand betreiben, um das europäische Naturerbe, zu dem auch der Wolf gehört, zu schützen. Eine Aufweichung würde diesen Schutzgedanken aushebeln. Weiters würden etwa Schutzzonen die Bauern in falscher Sicherheit wiegen, weil Wölfe wandern, so Pichler. Um den Wolf wegzubekommen, müsste man einige Tausend Wölfe in Mitteleuropa schießen, ein unrealistisches Szenario, „daher braucht es Herdenschutz“.
Für eine gesunde Umwelt
In Österreich habe man eine Natur, die ständig an Arten verliert. Für eine gesunde Umwelt brauche es aber die entsprechenden Arten, und da gehöre der Wolf dazu, sagt Pichler. Dass Landwirte damit keine Freude haben, verstehe er, aber Beispiele in der Schweiz oder auch im Tiroler Oberland würden zeigen, dass Herdenschutz möglich sei.
„Der Wolf kann sich gut anpassen. Wir müssen ihm nur in unserem Kopf Platz geben.“
Christian Pichler,
WWF-Wolfsexperte
„Landwirte stehen häufig aus anderen Gründen schon am Rande der Existenz, und wenn dann noch der Wolf dazukommt, bringt das das Fass zum Überlaufen“, zeigt der WWF-Wolfsexperte Verständnis. Er sieht das aber eher als Chance, etwa um Maßnahmen zu finanzieren und durch gezielte Weidehaltung auch andere Probleme zu beheben. „Ich habe oft das Gefühl, dass Versäumnisse der letzten 20 Jahre jetzt dem Wolf in die Schuhe geschoben werden“, so Pichler.
In Graubünden gebe es derzeit acht Wolfsrudel, erzählt Pichler. Und weiter: „Ich gehe davon aus, dass es auch in Vorarlberg Platz für Wölfe gibt.“ Und noch etwas sagt er dann: „Der Wolf kann sich gut anpassen. Wir müssen ihm nur in unserem Kopf Platz geben.“